Es regnete noch immer. Wir holten unsere Schirme raus, gingen über die Straße und schon standen wir vor dem Sightseeing-Highlight von Tucumán: der Casa de La Independencia, dem prächtigen Rathaus aus dem Jahre 1780, wo am 9. Juli 1816 die Unabhängigkeit von Spanien ausgerufen wurde, und auf der gleichnamigen Plaza. Daneben sahen wir die neoklassizistische Kathedrale der Stadt, alles kompakt beieinander.
Es waren an diesem Freitag Morgen sagenhaft viele Menschen unterwegs. Man kam auf den engen Fußwegen mit den Schirmen kaum aneinander vorbei. Wir schlenderten an zahlreichen Bars und Cafés vorbei – alle gut frequentiert am Vormittag – auf der Suche nach einer Bank. Aber was war das? War in Argentinien der Notstand ausgebrochen, und wir hatten es nicht mitbekommen? In fast jeder Bank, an der wir vorbeikamen, hatten sich meterlange Menschenschlangen gebildet. Wir versuchten an drei verschiedenen Automaten Bargeld zu bekommen, aber erst beim vierten Versuch waren wir erfolgreich. Es hatte aber wohl nichts mit Börsencrash oder Notstand zu tun, sondern wir hatten einfach die falschen Geldautomaten erwischt. Und auch die Argentinier stellten sich so ordentlich in Reih und Glied, wie wir es sonst nur von den Engländern kennen, es schien sich also doch eher um einen ganz normalen letzten Freitag eines Monats zu handeln, vielleicht der Tag, an dem die Bewohner von Tucumán all ihre wichtigen Bankgeschäfte zu erledigen haben? Anscheinend läuft hier alles über Bankautomaten. Schade, dass wir nur eine Übernachtung in Tucumán gebucht hatten. Es hätte sich bestimmt gelohnt, hier etwas länger zu bleiben, und überhaupt: Nach einem Flug werde ich in Zukunft immer mindestens zwei Übernachtungen veranschlagen. Das entschleunigt und beruhigt die Seele. Wir fuhren gegen halb elf weiter, immer schön nach Navi, raus aus der lebhaften Stadt, auf die Autobahn, erst nach Süden und dann nach Norden, Richtung Tafí del Valle. Der Himmel war wolkenverhangen und grau, aber was wir sahen war saftig grün. Ein erster Aussichtspunkt: um uns herum grüne, mit subtropischen Pflanzen bedeckte Hügel, unten der Río de las Sosas. Es hörte auf zu regnen. Wir kamen an El Mollar vorbei, wo Indio-Steinfiguren uns daran erinnerten, dass wir durch Tafí-Land fuhren, ein Stamm, der vom 5. bis zum 9. Jahrhundert n. Chr. hier lebte, und zahlreiche Steinfiguren und mit Gesichtern bemalte Menhire hinterließ.
Wir kamen immer höher, längst war aus der asphaltierten Straße wieder eine Schotterpiste geworden, die Landschaft nicht mehr dschungelgrün sondern karg bewachsen und felsig. Gegen zwei Uhr erreichten wir das Indio-Dorf Tafí del Valle. Wir waren inzwischen auf 2000 Metern Höhe, die Berge um uns herum noch einmal dreitausend Meter höher. Hier machten wir Mittagspause, es gab exzellente Hähnchengerichte und Cola. Wir versuchten uns zu akklimatisieren, mitzuhalten mit den schnellen Ortswechseln und Eindrücken seit gestern, uns einzulassen auf die völlig neue Umgebung hier im Nordwesten Argentiniens. Und weiter ging es auf der Schotterpiste, immer bergauf.
Wir fuhren über den Pass Abra Del Infiernillo und plötzlich ließ sich auch die Sonne blicken, und vereinzelt kamen blaue Flecken hinter der Wolkendecke zum Vorschein: Wir befanden uns auf 3040 Meter Höhe. Und nicht nur das: irgendwann tauchte ein riesiger Kaktus vor uns auf, nein: zwei, drei fünfzig, tausend! Das war ja unglaublich, überall schossen diese gigantischen Gewächse aus der Erde, doppelt so groß, nein dreimal so groß, nein fünfmal so groß wie ein erwachsener Mensch, mit Stacheln, die eindeutig signalisierten: Rührt mich nicht an! Wir kamen aus dem Staunen gar nicht heraus und mussten an jeder Straßenbiegung anhalten, um dieses Naturwunder immer wieder aus neuen Blickwinkeln zu fotografieren.
Von hoch oben blickten wir auf ein Tal voller Kandelaberkakteen, und dahinter bizarre Felsformationen, noch einmal 3000 Meter höher. Gegen 18 Uhr kamen wir an den Ruinen von Quilmes vorbei, einer Stätte, die an den Indiostamm der Quilmes erinnert, der hier im 11. Jahrhundert lebte.
Und um 19 Uhr erreichten wir endlich unsere Unterkunft in Cafayate. Inzwischen schien die Sonne. Cafayate war landschaftlich schon wieder etwas völlig anderes: ein berühmtes Weinanbaugebiet. Das muss man sich mal vorstellen: auf 1683 Metern Höhe!
Entsprechend war unser Zimmer in der Form eines Weinfasses gestaltet und überhaupt schien sich alles in diesem Ort um Wein zu drehen. Wir hatten so viel lebhaftes Treiben um eine schön angelegte Plaza herum gar nicht erwartet. Dann auch noch ein Geschäft, in dem spontan getanzt wurde, und das mit seinem Warenangebot und der Art des Abwiegens und Verkaufens an das Museum eines Krämerladens erinnerte.
Es war einfach ein bisschen viel der neuen Eindrücke für heute. Wir mussten schlafen.