Von Bikaner über Ramgarh nach Mandawa

Heute Morgen haben wir uns noch das Junagarh Fort in Bikaner angeschaut. Es war ausnahmsweise mal nicht auf einem Berg gelegen, sondern ebenerdig von Mauern und einem Graben umgeben. Wir waren die ersten und gingen zunächst in das angeschlossene Prachina Museum. Dort waren Gebrauchsgegenstände der Königsfamilie ausgestellt, wie zum Beispiel Rosenthal-Geschirr aus Deutschland und wunderschöne Teetassen aus Italien, die den wachsenden Einfluss Europas auf Rajasthan im 20. Jahrhundert erkennbar machten. Außerdem die schönsten, feinst bestickten, glänzendsten Hochzeitskleider und Frauenpyjamas aus Brokatseide in den herrlichsten Farben und mit den raffiniertesten Bustiers. Und riesige goldbestickte Teppiche – es war eine Freude, diese Pracht – sorgfältig durch Glas geschützt – anschauen zu können. Die 92-jährige, letzte Nachfahrin der mit ihr aussterbenden Dynastie kümmert sich um das Erbe. Und dann?

Beim anschließenden Fort-Besuch gab es wieder die schon bekannten mit Gold verzierten Decken und Wandgemälde als Erinnerung an den einen oder anderen Sieg über einen Mogulkaiser zu bestaunen, den Krönungsthron und ein äußerst schlichtes Maharadscha-Schlafzimmer mit einem Einzelbett, das eher an eine Gefängnispritsche erinnerte als an ein Königsbett  – im Schlafzimmer der Maharani stand wenigstens ein Doppelbett. Laut Audio-Guide sollte der Maharadscha sich so bei einem Angriff schneller erheben und wehren können, um nicht, vor einem Attentat, wie es einmal geschehen sein soll, mit seinem Turban an aufwendig und pompös gestaltete Bettpfosten gefesselt werden zu können. Es gab auch einen Raum, in dem die fiesesten Nägel- und Sägebretter ausgestellt waren, über die Menschen laufen konnten – angeblich ohne sich zu verletzen, oder weil sie sich jahrelang antrainiert hatten, Schmerzen in den Füßen zu ertragen.

Gegen halb zwölf waren wir wieder on the road. Mir reichte das Sightseeing für heute eigentlich, aber Dieter hatte noch den Ort Ramgarh im Reiseführer entdeckt, wo es an die vierhundert schön bemalte Havelis geben sollte. Ein Ort, der von Touris meist zu Unrecht ausgelassen würde. Also gut! Wir kamen in einem völlig heruntergekommenen, staubigen, geradezu verlassen wirkenden indischen Dorf an. Nein, aus den wie Ruinen anmutenden Häusern krochen doch hin und wieder ein paar Menschen, die uns verstohlen nachschauten. Tatsächlich, in den trostlosen Häuserresten gab es auch Läden. Wir stiegen aus und fragten nach den berühmten Havelis. Der Inder machte eine kreisende Armbewegung. Aha, wir waren schon da. Wir liefen los. Wir bemerkten, dass an den Wänden der schäbigen Häuser blasse Bilder zu erkennen waren, je länger wir guckten, umso intensiver wurden die Farben und Formen. Doch die meisten Tore waren verschlossen. Eine ärmlich lebende Familie ließ uns herein, und wir konnten die Pracht aus früheren Zeiten an den Wänden im Hof ihres ansonsten äußerst bescheiden eingerichteten Zuhauses betrachten.

Wie wir später erfuhren, werden diese alten Kaufsmannshäuser nur noch von “Hausmeistern” bewohnt. Nach der Unabhängigkeit Indiens vom British Empire 1947 und der Teilung in Indien und Pakistan verlor dieser Ort, der an der einst wirtschaftlich bedeutenden Seidenstraße liegt, seine Handelswege nach Afghanistan, Persien und Zentralasien. Die wohlhabenden, ansässigen Kaufleute verlagerten ihre Geschäfte in andere Städte Indiens und lassen diese ehemalig prachtvollen Havelis verkommen. It’s a shame! Zuletzt fanden wir dann doch noch ein renoviertes und als Hotel betriebenes Haveli. Das kinderlose, jüngere Besitzerpaar zeigte uns voller Stolz sein kleines Juwel, und wir tranken eine Cola. Alles würde, so Hotelier Ragh, im Originalzustand belassen. Nur ein bisschen frische Farbe sei aufgetragen worden, aber auch die Geschichten erzählenden Gemälde an den Wänden seien nicht verändert worden. Zur Zeit hätte er keine Gäste, dieses Jahr sei der November leider ein touristisch schwacher Monat.

 

Wir fragten uns, wen es denn überhaupt bei der fehlenden Infrastruktur in dieses trostlose Kaff ziehen könnte. Wir fuhren in den zwanzig Kilometer südlicher liegenden Ort Mandawa, wo man uns schon erwartete und gleich eine Haveli-Führung zu Fuß anbot. Zuerst ging es in ein Traumhotel, wo wir den Sonnenuntergang bei einem Bier bzw. einem Gläschen Wein von der Terrasse genießen konnten.

Dann zeigte uns der jüngere Bruder unseres Hotelwirts eine Baustelle. Die Ruinen eines einst sicher prunkvollen Gebäudes. Wer denn da bauen würde? Sein Bruder. Wir fragten ihn, wo er denn wohnen würde. Vom Dach dieses angeblich höchsten Havelis des Dorfes aus zeigte er uns in der Ferne ein Schlösschen. “Dort”. Ob wir ihn wohl richtig verstanden hatten? Auf jeden Fall sei diese Haveli-Ruine nächstes Jahr als Hotel bezugsfertig. Es war inzwischen dunkel geworden, und wir begaben uns zurück zu unserer Unterkunft. Von der Dachterrasse aus konnten wir das ruhige Abendleben in dieser beschaulichen Gegend beobachten: eine Kuh trottete gemächlich vorbei, der Onkel der beiden Brüder machte gegenüber seinen Tücherladen zu.