Die letzte Nacht konnten wir beide nicht gut schlafen. Draußen bellten Hunde und das nahm kein Ende. Irgendwann war es halb sechs. Aufstehen! Wir gingen den Weg vom Fort runter, und um Punkt halb sieben stand der Jeep mit Vikram (Sohn des Agenturleiters) und mit Suwan, unserem Kamelführer, bereit. Es war noch frisch am Morgen, und wir waren froh, dass wir unsere Fliespullover eingepackt hatten. Vikram stieg bei Martinas Haus aus, und wir fuhren zu dritt erst eine Weile nach Osten, direkt in den wunderbaren Sonnenaufgang hinein, und dann gen Süden. Plötzlich bog Suwan in einen Weg in die Wüstenlandschaft ab. Nach etwa einem Kilometer hielten wir an. Dort warteten Muka und sein fünfzehnjähriger Sohn Mazur an einem Lagerfeuer. Zuerst gab es einen Chai.
Dann reichten sie uns Bananen, kochten uns Eier und dazu Marmeladentoasts. Um uns herum Ziegen, Vögel, auch mal eine Antilope und ganz hinten, da konnten wir Dromedare ausmachen. Nachdem das Geschirr mit Sand gesäubert und zusammengepackt worden war, holte Suwan die Tiere. Muka fuhr mit dem Jeep davon, und wir sattelten und bepackten drei Arabische Kamele, wie sie auch genannt werden. Dieter bekam Golao (ungefähr zehn Jahre alt), ich stieg auf Tiger (15 Jahre und der größte) und Suwan und Mazur nahmen Rodeo, den jüngsten, fünf Jahre alt. Dass wir tatsächlich jeder allein auf einem Kamel reiten würden, überstieg bei weitem unsere Erwartungen. Auf Fuerteventura hatten wir schon mal vor 28 Jahren eine an der Leine geführte Tour auf ‘nem Dromedar gemacht. Da saß man so unbequem in Seitensitzen, dass man bei jedem Schritt das Gefühl hatte, über Bord zu gehen, und ich hatte auch noch die kleine Marlene im Arm. Dies hier war anders: Dieter und ich auf ‘nem eigenen Kamel durch die Thar-Wüste, wau! Es ging erstaunlich gut. Wir kamen durch ein kleines Dorf, Lakhamana. Es bestand aus vielleicht zehn Häusern.
Das Land hätte man Hindus aus Pakistan zur Verfügung gestellt, erzählte Suwan. Wir waren hier etwa 160 km von der pakistanischen Grenze entfernt. Am Horizont sah man Windkraftanlagen. Suwan meinte sie seien aus Schweizer Produktion. Dass die hier funktionieren sollten, konnten wir uns zu dem Zeitpunkt noch kaum vorstellen. Nach zwei Stunden meldeten sich die Innenseiten meiner Oberschenkel. Absteigen. Oha! Zuerst ging das Tier vorne auf die Knie. Festhalten, dann eine steile Schaukel nach hinten. Ein etwas uneleganter letzter Rutsch vom Sattel, geschafft! Zu Fuß ging es eine gute halbe Stunde weiter. Mein Tiger und Dieters Golao trotteten brav an der Leine hinterher.
Das tat unseren Oberschenkeln ja so was von gut! Das letzte Stück vor der Pause saßen wir wieder auf, ging doch! Es war glühend heiß, da kam ein Baum in Sicht und Suwan meinte “Lunchtime”. Juchhu! Drei Stunden ausruhen im Schatten, herrlich! Wieder wurde ein Feuer gemacht, ein Chai bereitet, wir sollten Knoblauch schälen, nicht mit nem Messer, sondern mit der Hand, und Suwan und Mazur bereiteten uns ein super-leckeres Gemüsecurry mit Reis und Chapati. Es gesellte sich noch ein Bekannter mit Turban aus dem nächstgelegenen Dorf, aus Masur ki Dhani, hinzu, der uns später um Halsschmerztabletten bat – hatten wir in unserer Bordapotheke dabei – und gegen halb vier ging es weiter.
Zusammenräumen, Kamele satteln, aufsteigen – kein Problem mehr. So schwer ist das Dromedartreiben gar nicht. Nach anderthalb Stunden wollte ich wieder ein bisschen an der Leine führen. Ist ja man doch sehr ungewohnt, der Kamelsitz!
Gegen sechs kamen wir auf unserer Schlafdüne an.
Als uns dann hoch oben von Mazur ein Chai serviert wurde, war die Sonne gerade am Untergehen. Jede Camel-Reklame könnte bei diesem Anblick nicht mithalten!
Unsere Schlaflager wurden ausgebreitet, hoppla, was kreuchte denn da herum? Schwarze Kakerlaken? Ach herrje! Das konnte ja heiter werden! Natürlich waren es keine Kakerlaken oder einfachen Mistkäfer, wir waren schließlich in Indien! Nein, es waren Tausende von glücksbringenden Skarabäuskäfern, die sich neugierig immer wieder zu nähern versuchten. Wenn es mir mit dem Glück zu viel wurde, schnippte ich die verheißungsvollen Krabbeltiete einfach mit dem Finger weg.
Das Feuer wurde entfacht, das Abendessen bereitet – Gemüsecurry, Reis und Chapati. Und dann ging’s ans Sternegucken. Von unserem bequemen, warmen Dünenbett aus konnten wir beobachten, wie sich das Sternenzelt über uns um den Polstern drehte, bzw. wir uns drehten. Zuvor hatten wir uns auf unsere Pads noch die wunderbare App “stellarium” heruntergeladen, um damit besser die unzähligen Sternbilder erkennen zu können. Es war eine unbeschreibliche Sternenpracht. Im Norden der Polarstern mit dem kleinen Wagen, dann etwas weiter östlich Kassiopeia, das Himmels-W, von uns aus gesehen ein M – noch weiter östlich, der Andromeda-Nebel und dazwischen klar und deutlich zu erkennen: die Milchstraße. Wir konnten uns nicht sattsehen. Für jede Sternschnuppe hatten wir einen Wunsch parat, und es gab viele. Irgendwann mussten wir die Augen zumachen, weil ein ständiger, leichter Windhauch zumindest mir sonst sicher eine Bindehautentzündung beschert hätte, und Dieter schlief heute mal mit Hut. Interessantes Nachtgewand! Dieter wachte mehrmals in der Nacht auf und beobachtete die Veränderungen über uns. Kurz bevor wir irgendwann wohl doch eingeschlafen sein mussten, war das Sternbild Orion am östlichen Horizont aufgetaucht, um halb sechs stand es vollständig sichtbar mit Gürtelsternen, Kopf und Schwert direkt über uns. Sagenhaft! Um sechs Uhr begann es langsam hell zu werden. Die Nacht war zuende, unsere zwei Kameltreiber waren bereits dabei, ein Frühstück vorzubereiten. Mit einem indischen Chai in der Hand krabbelten wir auf die höchste Düne und begrüßten den incredible neuen Tag.