Beim Frühstück waren wir die einzigen im großen, für mindestens fünfzig Leute gedeckten Speisesaal des kolonialen Hotels. Zwei Kellner standen uns geschäftig zu Diensten, dankbar, etwas zu tun zu haben. Eiligst zauberten sie Toastbrote, Butter, Marmelade, Omeletts – kontinentales Frühstück halt – auf unsere Teller, und als Zugabe indisches Curry, so viel wir wollten. Einfach rührend diese Beflissenheit und Sorge, dass es uns an nichts fehle! Start um acht Uhr.
Unseren Fahrer sollen wir Lal nennen, nicht Lol!, die Kurzform für Perilal hatten wir verstanden. Ein Stück ging es die indische Autobahn entlang, dann wieder über Holperpisten. Plötzlich standen am linken Straßenrand unzählige Laster, rechts ging auch nichts mehr, aber nach zehn Minuten bildete sich in der Mitte eine kleine Gasse, für Motorräder. Nein, tatsächlich, unser Meisterdriver Lal passte auch durch! Wir näherten uns der Grenze nach Bihar. Da würden alle Laster kontrolliert, meinte Lal, das könne schon mal ein, zwei Tage dauern. Lal hatte eine Lizenz, die noch bis Ende Oktober gültig war. Wir konnten also reibungslos passieren. Erster Sightseeing-Halt am Kesaria-Stupa, einem der größten Indiens, wo Buddha einst gepredigt hatte. Wir waren die einzigen Touris. Zwei gelangweilte Inder am Eingang boten mir an, auf Toilette zu gehen, als wäre es das Größte. Dann begleitete der eine uns um den Stupa herum und fand es ganz toll, uns eine günstige Stelle zum Fotografieren zu zeigen. Leider voll gegen die Sonne.
Frauen jäteten Unkraut. Die eine schickte ihre Tochter zum Betteln hinter uns her. Ich konnte das Elend nicht ertragen und habe ihr zehn Rupien gegeben. Daraufhin wollten die beiden Männer auch was haben. Und vorm Eingang kam ein Einbeiniger auf uns zu…es ist aussichtslos! Auf der Weiterfahrt war ich deprimiert. Aber Mitleid ist kein Weg. Die vielen Menschen, die wir aus dem Fenster beobachteten, machen keinen unglücklichen Eindruck. Was sie am wenigsten brauchen können, ist unser arrogantes Mitleid. (Dieter findet sich nicht arrogant!)
Nächster Stopp war die Ashoka-Säule in Kolhua, die vom Kaiser Ashoka im dritten Jahrhundert v. Chr. errichtet wurde, um an den Ort zu erinnern, an dem Buddha seine letzte Predigt hielt. Hier waren wir nicht mehr die einzigen, aber immer noch die einzigen Europäer. Die asiatischen Touri-und Pilgergruppen wollten sich gleich wieder mit uns fotografieren lassen. Aber gern doch!
Weiter ging es nach Vaishali, dem einigen Historikern zufolge ersten demokratischen Stadtstaat der Welt, wo Buddha einst studierte und 483 v. Chr. seinen nahenden Abschied verkündete. Auch einer der 80 Weltfriedenstempel steht in Vaishali, weiß, mit goldenen Buddhas in vier verschiedenen Haltungen, schön anzusehen. Die Initiative ging von einem Japaner nach den Atombomben auf Hiroschima und Nagasaki aus. Auf Tafeln wird an diese von Menschenhand gemachte Katastrophe erinnert.
Gegen halb vier gab es einen Stau auf der sieben Kilometer langen Brücke über den Ganges nach Patna. Was da los war, das übersteigt jedes europäische Verkehrsgefühl. Man kann dem Treiben nur eine fatalistische Gelassenheit entgegensetzen, man ist ausgeliefert. Aber es geht ja allen so, den Menschen in den überfüllten Bussen – Plätze auf dem Dach zum halben Preis – den siebenköpfigen Familien auf den Motorrädern, den Fahrradfahrern mit ihren Hühnern, den Fußgängern mit ihren Reisbündellasten, also geduldet man sich und ergibt sich dem Schicksal. Irgendwann ging es weiter. Auf der Gegenfahrbahn hatte eine mit sechs bis acht Menschen beladene Motor-Rikscha ihren Geist aufgegeben. Ob wohl irgendwann jemand die Gestrandeten mitgenommen hat? Und der arme Rikscha-Fahrer? Hat er seine kaputte Karre die sieben Kilometer über die Brücke ziehen müssen?
Nach einer immer wieder abenteuerlich anmutenden Fahrt durch eine indische Großstadt, hier durch Bihars Hauptstadt Patna, erreichten wir gegen 17 Uhr unser Hotel, eine Oase im Großstadtmüll, mit Balkon und einer Art Hollywoodschaukel.
Beim Abendessen waren wir wieder die einzigen. Drei Kellner sorgten für unser Wohl.