22.8.2017 Norris Point Tag 4
Es sind wieder neue Leute in der Pension, ein Pärchen aus Georgia, Fran und Rick, sie ist Ingenieurin und beide sind schon viel gewandert auch in Deutschland und in der Schweiz, und Paul, ein Ingenieur aus Ottawa, der im Auftrag der Regierung die Parlamentsgebäude aus dem 19. Jahrhundert erhalten und modernisieren soll. Er ist mit seinem kleinen Sohn, Jack, sechs Jahre alt, unterwegs. Eine lustige Runde. Smalltalk, was man so machen wird heute, und was man gestern gemacht hat. Wir wollen zu den Tablelands, den Tafelbergen auf der anderen Seite des East Arms, wie unser Fjord heißt. Man kann ganz einfach mit einem Boot rüberfahren nach Woody Point, aber dann müssten wir unser Auto hier stehenlassen und könnten drüben nicht zu den Tablelands kommen. Also fahren wir ganz um den östlichen Seearm herum, anderthalb Stunden lang, und kommen um etwa halb zwölf in Woody Point an. Eine süße, kleine, neufundländische Fähranlegersiedlung direkt gegenüber von Norris Point. Wir schauen uns das ebenso niedliche Leuchttürmchen an, das ich sofort als meine Zweitwohnung auf Neufundland in Beschlag nehme, winken den Passagieren auf dem charmanten Ausflugsbötchen zu, hören bis ans Ufer die begeisterte Animationsstimme vom Boot, die sich geradezu überschlägt bei Schwärmereien über diese faszinierende Gegend.
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Wir fahren zum Eingang des Tafelbergtrails. Der Weg soll eine Stunde dauern. Das ist uns zu wenig, wir wollen lieber den vierstündigen zum Green Garden nehmen, was auch immer das ist. Der Parkplatz ist – wie meist hier – proppevoll. Es geht zunächst über ein hügeliges Geröllfeld, leicht aufwärts, immer an einem Rinnsal entlang, das uns von oben entgegenfließt. Aufwärts, weiter aufwärts, dann abwärts, über große Steine, kleine Steine, Gräser am Wegrand, dann Sträucher und Nadelbäumchen, über Wurzeln und Stufen mit Regenpfützen, immer abwärts. Der Boden wird matschig, und wir müssen aufpassen, dass wir nicht ausrutschen. Nach anderthalb Stunden erreichen wir die Küste: steil fällt sie nach unten ab, 20 bis 30 Meter unter uns ein Strand, vulkanisch dunkel, weiter draußen grandiose Felsformationen.
Wir sonnen uns auf einer der Klippen im Gras, sind unentschlossen, wie weit wir noch wollen. Plötzlich sehen wir Kot auf dem Weg, frischen Kot. Es soll hier einen Bären geben, stand am Eingang. Ach herrje! Zum Glück sind noch mehr Leute unterwegs, und Dieter hat immerhin seinen Verteidigungsstock dabei. Grins! Er vermutet – wie immer beschwichtigend angesichts in mir aufsteigender Panik – , dass es hier Schafe gibt. Er hat mal wieder recht, mein Herzallerliebster. Wir hören es blöken, und dann sehen wir sie. Na dann ist ja gut! Es ist zwei Uhr, es wird windig und ein paar dunkle Wolken ziehen auf. Wir kehren um. Aufwärts, über Stock und Stein. Das fällt mir leichter, nur die Stufen sind blöde. Dann das elend lange Geröllfeld, diesmal abwärts. Da kann ich mit Dieter nicht mithalten. Ich komme erst zehn Minuten später am Auto an. Es ist jetzt halb vier, und wir fahren nach Trout River, der nächsten Siedlung und finden auf Anhieb das Restaurant, das uns Rick aus unserem B&B heute morgen wärmstens empfohlen hat. Wir bekommen einen Platz am Fenster, vor uns ein Strand und die Bucht, von Klippen eingerahmt, oben ein Leuchtturm.
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Die Sonne scheint wieder, wir bestellen die Fischplatte, chatten mit unseren Kindern und freuen uns, dass wir ein so schönes Plätzchen gefunden haben. Wir sonnen uns am Strand, und als wieder eine dunkle Wolke aufzieht, fahren wir anderthalb Stunden nach Norris Point zurück. Dieter fährt, ich schlafe. Am Fähranleger von Norris Point, wo wir bisher noch gar nicht hingekommen sind, setzen wir uns bis zum Sonnenuntergang ins Café und lassen zufrieden den schönen Urlaubstag ausklingen.