Das Wetter ist hier etwas verrückt: Jeden Morgen wachen wir bei grauem, wolkenverhangenem Himmel auf, und nach dem Frühstück scheint die Sonne. Wir haben uns aufgemacht, Saltas Hausberg, den San Bernardo zu erklimmen. Nein, nicht auf dem Kreuzweg, den gibt es auch, sondern bequem per Seilbahn. Dieter hat Probleme mit seinem Knie und mein Magengrummeln hat sich leider verschlimmert.
Außerdem mögen wir keine Leidenswege. Oben angekommen wollte ich eigentlich gern einen Mate-Tee – Argentiniens Nationalgetränk – trinken. Gab es nicht. Stattdessen bot der Ober mir einen Koka-Blätter-Tee an. Auch nicht schlecht! Die Blätter gibt es hier an jedem Kiosk zu kaufen. Der warme Tee tat gut. Dieter wollte auch probieren. Wir haben uns die Blätter genau angesehen, noch ein bisschen auf ihnen rumgekaut, und danach, ja, waren wir gut drauf.
Haben von 1458 Metern Höhe auf Salta geblickt, uns das Amphitheater hier oben angeschaut – leider war ich die einzige Darstellerin – und natürlich den künstlich angelegten Wasserfall.
Wir fragten uns, ob das womöglich alles Koka-Bäume um uns herum seien, jedes Blatt schien plötzlich wie ein Koca-Blatt aus meinem Tee auszusehen. War aber nicht. Kokablätter wachsen an Sträuchern. Dann fuhren wir mit der Seilbahn wieder hinunter, schlenderten am Flohmarkt der Plaza San Martín vorbei – hier verbrachten viele Salteños ihre Mittagspause – es wurde gegessen und nicht zu knapp, auf jedem Tisch stand die obligatorische 1-Liter-Colaflasche. Mein Magengrummeln meldete sich zurück, und ich beschloss, im Hotel Tabletten gegen Durchfall einzunehmen. Am Spätnachmittag haben wir dem archäologischen Museum von Salta einen Besuch abgestattet. Hier werden die drei 500 Jahre alten, mumifizierten Inka-Kinder-Leichen ausgestellt, die man bei einer Expedition zum 6.739 Meter hohen Llullaillaco Vulkan 1999 ausgegraben hatte. Die drei Kinder, eine Fünfzehnjährige, eine Vier-Fünfjährige und ein etwa vierjähriger Junge wurden geopfert, um die Geister zu beschwichtigen, Dürre und Hungersnöte fernzuhalten, die angesehensten Inka-Familien miteinander zu verbinden und das Inka-Reich zu festigen. Vor ihrem Tod wurden die Auserwählten mit Alkohol und Kokablättern betäubt. Das macht den grausamen Mord nicht besser. Dennoch werten manche Inka-Nachfahren, wie wir aus den Videos erfuhren, diese menschheitsgeschichtlichen Verirrungen auch heute noch als zu akzeptierendes Glaubensritual. Abends sind wir noch einmal in unsere “Stammkneipe”, das “Del Tiempo”. Ich konnte nicht widerstehen, trotz meiner Magenverstimmung ein paar Ravioli zu essen und dann, ab ins Bett. Am nächsten Morgen noch leichtes Grummeln, aber dank Tabletten kein Durchfall mehr. Wir haben ausgecheckt, unser Gepäck konnten wir noch im Hotel lassen, haben uns im Garten in den Schatten gesetzt, sind noch einmal zur Plaza 9 de Julio, haben das schöne Gebäude, in dem das Saltenser Kulturzentrum untergebracht ist, angeschaut.
Ein Reiki-Guru gab gerade sein Wissen über das Glücklichsein im Hier und Jetzt zum Besten, etwa zwölf Leute lauschten ihm andächtig, und es gab eine Ausstellung eines argentinischen Künstlers, Mauro Stefanazzi, der zur Darstellung von Gewalt und Unterdrückung einen so individuellen Stil gefunden hat, dass man seine Werke nie mehr vergessen wird. Auf großen, beige gefleckten Tafeln stellte er menschliche Grausamkeit klein, filigran doch unverkennbar blutig und erschütternd, und zum Nachdenken anregend dar. Auch ins Museo Arte Contemporáneo gingen wir noch. Neben Installationen, die wir nicht verstanden, weil sie nur mittels Sprache, Grrr! zu verstehen waren, gab es auch wieder die künstlerische Auseinandersetzung mit den Opfern der argentinischen Militärdiktatur. Dann holten wir unser Auto und Gepäck und fuhren zum Flughafen.